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Vom Bonner Loch an die Algarve

Niederdollendorf. Frank (Name geändert) war ein hoffnungsloser Fall. Mit 15 Jahren sollte der Junge aus Bornheim, der das Evangelische Kinder- und Jugendheim Probsthof in Niederdollendorf besuchte, bei einem Dachdeckerbetrieb in Königswinter eine Lehre machen. Doch statt zu lernen, büchste er ständig aus, verweigerte die Schule, erschien nicht zum Praktikum. Er hatte das Glück, auf einen Lehrherrn zu treffen, der Verständnis für Frank und dessen Lebenssituation zeigte. „Ich warte auf Dich, aber Du musst etwas für Dich tun“, setzte er Vertrauen in den Jungen. Frank nahm mit seiner Zustimmung und der seiner Eltern an einer intensivpädagogischen Maßnahme des Probsthofes in Portugal teil. Dort ließ er sich nach Angaben seiner Projektbegleiterin Anne Lück auf einen Weg mit vielen Höhen und Tiefen ein, auf Erwachsene, die mit klaren Regeln und Strukturen, aber auch mit Annahme, Wertschätzung und Verlässlichkeit, Stück für Stück Ordnung in sein „inneres und äußeres Chaos“ brachten. „Er lernte sich selbst wieder neu kennen und spüren, entdeckte bei sich Fähigkeiten und Interessen, die ihn motivierten, auch in schwierigen Phasen durchzuhalten und weiter zu gehen“, erzählt Lück. Drei Jahre später kam ein geläuterter, „sozial gereifter“ junger Mann von der Algarve zurück und begann seine Lehre bei dem Dachdecker, der über den ganzen Zeitraum mit der Einrichtung Kontakt hielt und wenn nötig, hilfreich zur Seite stand. „Im Team haben wir den Übergang von Portugal nach Deutschland, mit Frank intensiv vorbereitet und ihm hier vor Ort die notwendige Starthilfe gegeben, das heißt enge Begleitung der ersten Schritte in die Selbstständigkeit“, sagt Lück. Frank zog drei Monate nach seiner Rückkehr in sein eigenes, kleines Appartment.

Strandläufer: Jugendliche, die der Probsthof in Portugal betreut, bei der Arbeit. Foto: privat

Frank ist ein positives Beispiel für Maßnahmen deutscher Einrichtungen im Ausland, die aber auch sehr umstritten sind. Seit August 2005 bietet der Probsthof für die Region Bonn/Rhein-Sieg individualpädagogische Hilfemaßnahmen in Portugal auf der Grundlage des Kinder- und Jugendhilfegesetzes an. Das individualpädagogisch-stationäre Angebot richtet sich an Kinder und Jugendliche in der Regel im Alter von neun bis 18 Jahren mit massiven Verhaltensauffälligkeiten, Erziehungsdefiziten oder Entwicklungsstörungen, die in Deutschland von den herkömmlichen Hilfen zur Erziehung nicht mehr erreicht werden. Portugal ist das Ziel, weil die Jugendlichen dort nicht mehr einfach entweichen können. Warum man das denn nicht in der Eifel macht, wird Ulrik Dyckerhoff, der Leiter des Probsthofes, öfters gefragt. „Von dort sind die Kinder aber schneller wieder im Milieu als ich mit dem Auto“, meint er. Durch den kulturellen Bruch könnten sie sich dem pädagogischen Einfluss nicht mehr entziehen. Vor der Flucht stehen die Sprachbarriere, aber auch die Entfernung zur Heimat. An der Algarve werden sie in deutschen Betreuerfamilien untergebracht, in denen mindestens ein Betreuer eine pädagogische Ausbildung nachweisen muss. Die Familien leben meist im Hinterland. Dort werden die Kinder von einem Lehrerteam unterrichtet. Sie haben in der Regel keinen Kontakt untereinander, bis sie sich stabilisiert haben und dann in Kleingruppen eine Schule besuchen. Übergeordnet verantwortlich ist, über eine Kooperation mit dem Probsthof, die Siebengebirgsschule Bonn. Die Erfahrungen mit diesen Schülern, die in Deutschland so gut wie nicht mehr beschulbar waren, sind „durchgehend positiv“, so Lück. Im klassischen Fall werden die Betroffenen bei akuter Eigengefährdung von der Kölner Domplatte oder aus dem Bonner Loch weggeholt und in den Flieger gesetzt. Dyckerhoff betont das Prinzip der Freiwilligkeit: „Die Kinder und Eltern müssen bereit sein, sich auf die Maßnahme einzulassen. Liegt Drogen- und Alkoholabhängigkeit oder starke Kriminalität vor, muss im Einzelfall geprüft werden, ob dies ein Ausschlusskriterium darstellt.“ Den Kontakt knüpft stets das zuständige Jugendamt. Rund 25 Jugendliche hat der Probsthof in fünf Jahren an die Algarve geschickt. „Einige, besonders die Mädchen, sind ganz dort unten geblieben und haben eine Ausbildung in der Gastronomie gemacht. Einige haben den Hauptschul- oder den Realschulabschluss erreicht“, so Dyckerhoff. Zurzeit sind zwei Kinder aus Königswinter und Bad Honnef in Portugal. Von Hansjürgen Melzer, 18.03.2011